Mittwoch, 14. Januar 2015

Tom Sawyer #2: Andreas Schwark über Bühne, Kostüme und optische Täuschungen



Bühne und Kostüme bilden

Tom Sawyers Abenteuer – da denke ich an meine eigene Kindheit Anfang der 70er Jahre, an eine schwarz-weiße Filmserie immer samstags. Die Hauptdarsteller liefen barfuß herum. Es war Sommer und staubig, weiße Holzfassaden, Zäune. Wie im Cowboyfilm, aber ohne die wilden Schießereien. Dachte ich zumindest.

Auf Youtube entdecke ich meine Serie wieder. Sie war farbig! Meine Erinnerung hat mir einen Streich gespielt – außerdem gibt es sehr wohl ein paar wilde Schießereien...

Christine und ich stellen fest, dass der Roman schon sehr früh als Stummfilm adaptiert wurde: 1917 lag die Geschichte etwa 40 Jahre zurück, also relativ zeitnah. Man sieht in flackernden Bildern alte Hemden und Anzüge, Hüte und Mützen. Der Stummfilm übertreibt in Darstellung und Maske. Die Figuren werden pantomimischer in Szene gesetzt, weil der Ton fehlt.

Das ist ein erster Gedanke für meine Interpretation der Kostüme: eine leichte Überzeichnung der Charaktere. Über Skizzen taste ich mich an die Personen heran. Auch in den hinteren Reihen soll man erkennen, wer gut und wer schlecht, wer wohlbehütet und wer auf der Straße zu Hause ist. Kleider machen Leute. 

Echte Handarbeit. Foto: Andreas Schwark

Huckleberry Finn, Toms bester Freund, ist ein Straßenjunge. Er lebt völlig auf sich allein gestellt. Niemand wäscht und bügelt für ihn. Das soll sich im Kostüm widerspiegeln. Er trägt eben, was er kriegen kann: zu große Klamotten von Erwachsenen – alles alt, gebraucht, zerrissen, überzogen von einer Patina aus Flecken und Dreck.

Mr. Thatcher, der frisch zugezogene Richter, ist ein Karrierist und recht wohlhabend. So wie er von den anderen Figuren empfangen und behandelt wird, scheint er die wichtigste Position in der Kleinstadt einzunehmen. Seine Kleidung soll an Uncle Sam, die Karikatur des patriotischen Amerikaners, erinnern.

Mrs. Harper, die Mutter des verwöhnten Pit Harper, ist im Buch Amme und wohl alleinstehend, da von einem Mr. Harper nie die Rede ist. Sie ist für mich – im Gegensatz zu der auch äußerlich eher disziplinierten Tante Polly koketter im Auftreten. Ihre Kleidung wird daher nicht ganz so hochgeschlossen ausfallen.

Indianer Joe kennt nur das Recht des Stärkeren. Im Text ist die Rede davon, dass er über 100 Indianer auf dem Gewissen hat. Das möchte ich an seinem Kostüm zeigen: Von jedem erschossenen Indianer hat er eine Feder im Hut. Die Hutkrempe ist breit wie ein Sonnenschirm, damit sein Gesicht immer im Schatten ist. Wieso gibt es ihn überhaupt in einem Kinderbuch?


Der Wilde Westen mit seinen rumballernden Banditen, furchtlosen Sheriffs, machtlosen Priestern, gierigen Goldgräbern und wehrhaften Indianern wütete in vollem Gange, als Mark Twain seine berühmte Geschichte, die viel mit seiner eigenen Kindheit zu tun hatte, aufschrieb.
Durch die große Anzahl der Chormitglieder haben wir die Möglichkeit, uns viele Gruppen auszudenken, die den wilden Westen auf der Bühne verkörpern können.
Da tanzen Saloonladys über die Bühne, Einwanderer ziehen vorbei, ein Mississippidampfer mit Besatzung fährt durchs Bild. Der Sheriff, unterstützt von mehreren Hilfssheriffs, verfolgt die berüchtigten Daltons. Auch ein kompletter Gospelchor wird mitspielen.

Beim Kostüm muss ich klare Angaben auf den entsprechenden Listen machen, wobei eine gewisse Freiheit der Umsetzung durch die Chormitglieder den Pfeffer in die Suppe bringt. Statt Uniformität kann so eine natürliche Buntheit entstehen.


Dick, dünn, schmuddelig, schön, groß und klein - ein hoch auf die Vielfalt! Foto: Andreas Schwark


 Die wechselnden Schauplätze im fiktiven Städtlein St. Petersburg sollen durch ein fahr- und drehbares Haus dargestellt werden. Eine Kulissenwand von etwa 4m x 4m wird zum Innen- oder Außenraum eines Hauses, einer Schule, einer Kirche oder eines Gefängnisses.

Viele Umbauten können bei geschlossenem Hauptvorhang stattfinden, andere müssen offen geschehen. Bevor die Bühne gebaut wird, schreibe ich einen genauen Ablaufplan, der die Umbauten beinhaltet. So kann man überprüfen, ob man wirklich alles berücksichtigt hat. Christine braucht diese Angaben auch bei der Probe. Da nicht chronologisch geprobt und entwickelt werden kann, muss bereits vor den Proben genau feststehen, wie die einzelnen Szenenbilder konkret aussehen. 
Zudem brauchen wir ganz genaue Pläne für den Bau des Bühnenbildes.

Zusätzlich zum „Haus“ brauchen wir noch weitere Versatzstücke für die Bühne: den berühmten Zaun, den es zu streichen gilt, ein Floß für Tom, Huck und Pit und so weiter. Ich muss darauf achten, dass die Hinterbühne nicht durch Kulissen zugestellt wird, damit die Projektionsfläche frei bleibt und nicht durch Schatten behindert wird. Die Projektion auf die Opera Folie soll von hinten erfolgen. Würde man von vorne projizieren, hätten die Darsteller das Bild auch auf dem Kostüm und im Gesicht. Alles soll relativ klein und wendig sein. Schließlich brauchen wir hinter der Bühne ja auch genügend Platz für die Auftritte von den Solisten und Gruppen.


Wehe, ihr haltet euch nicht die an die Vorgaben! Foto: Andreas Schwark

 Viele Listen müssen noch ausgearbeitet, Pläne zum Bau der Bühne überprüft und geändert werden. Auf einer Autofahrt von Regensburg nach München wollen wir noch mal über einige Details sprechen. Irgendwie kommen wir auf das Programmheft. Die Ideen dazu purzeln hin und her, ein Gedanke ergibt den nächsten. Am liebsten möchten wir uns sofort dransetzen, aber step by step ... Das Programmheft kommt später dran.


Andreas Schwark, 11. Januar 2015

1 Kommentar:

  1. Hallo Andreas,

    klasse Entwürfe!! Ich liebe das zauberhafte Buch auch sehr. Ich erkenne es wieder, das Twain'sche Personal! Martin

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