Bühne und Kostüme bilden
Tom Sawyers
Abenteuer – da denke ich an meine eigene Kindheit Anfang der 70er Jahre, an
eine schwarz-weiße Filmserie immer samstags. Die Hauptdarsteller liefen barfuß
herum. Es war Sommer und staubig, weiße Holzfassaden, Zäune. Wie im Cowboyfilm,
aber ohne die wilden Schießereien. Dachte ich zumindest.
Auf Youtube
entdecke ich meine Serie wieder. Sie war farbig! Meine Erinnerung hat mir einen
Streich gespielt – außerdem gibt es sehr wohl ein paar wilde Schießereien...
Christine und
ich stellen fest, dass der Roman schon sehr früh als Stummfilm adaptiert wurde:
1917 lag die Geschichte etwa 40 Jahre zurück, also relativ zeitnah. Man sieht
in flackernden Bildern alte Hemden und Anzüge, Hüte und Mützen. Der Stummfilm
übertreibt in Darstellung und Maske. Die Figuren werden pantomimischer in Szene
gesetzt, weil der Ton fehlt.
Das ist ein
erster Gedanke für meine Interpretation der Kostüme: eine leichte Überzeichnung
der Charaktere. Über Skizzen taste ich mich an die Personen heran. Auch in den
hinteren Reihen soll man erkennen, wer gut und wer schlecht, wer wohlbehütet und
wer auf der Straße zu Hause ist. Kleider machen Leute.
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Echte Handarbeit. Foto: Andreas Schwark |
Mr. Thatcher, der frisch zugezogene Richter, ist
ein Karrierist und recht wohlhabend. So wie er von den anderen Figuren
empfangen und behandelt wird, scheint er die wichtigste Position in der
Kleinstadt einzunehmen. Seine Kleidung soll an Uncle Sam, die Karikatur des
patriotischen Amerikaners, erinnern.
Mrs. Harper, die Mutter des verwöhnten Pit Harper, ist im Buch Amme und
wohl alleinstehend, da von einem Mr.
Harper nie die Rede ist. Sie ist für mich – im Gegensatz zu der auch
äußerlich eher disziplinierten Tante
Polly – koketter im Auftreten. Ihre Kleidung wird daher nicht
ganz so hochgeschlossen ausfallen.
Indianer Joe kennt nur das Recht des Stärkeren. Im
Text ist die Rede davon, dass er über 100 Indianer auf dem Gewissen hat. Das
möchte ich an seinem Kostüm zeigen: Von jedem erschossenen Indianer hat er eine
Feder im Hut. Die Hutkrempe ist breit wie ein Sonnenschirm, damit sein Gesicht
immer im Schatten ist. Wieso gibt es ihn überhaupt in einem Kinderbuch?
Der Wilde
Westen mit seinen rumballernden Banditen, furchtlosen Sheriffs, machtlosen
Priestern, gierigen Goldgräbern und wehrhaften Indianern wütete in vollem
Gange, als Mark Twain seine berühmte Geschichte, die viel mit seiner eigenen
Kindheit zu tun hatte, aufschrieb.
Durch die
große Anzahl der Chormitglieder haben wir die Möglichkeit, uns viele Gruppen
auszudenken, die den wilden Westen auf der Bühne verkörpern können.
Da tanzen
Saloonladys über die Bühne, Einwanderer ziehen vorbei, ein Mississippidampfer
mit Besatzung fährt durchs Bild. Der Sheriff, unterstützt von mehreren
Hilfssheriffs, verfolgt die berüchtigten Daltons. Auch ein kompletter
Gospelchor wird mitspielen.
Beim Kostüm
muss ich klare Angaben auf den entsprechenden Listen machen, wobei eine gewisse
Freiheit der Umsetzung durch die Chormitglieder den Pfeffer in die Suppe
bringt. Statt Uniformität kann so eine natürliche Buntheit entstehen.
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Dick, dünn, schmuddelig, schön, groß und klein - ein hoch auf die Vielfalt! Foto: Andreas Schwark |
Die
wechselnden Schauplätze im fiktiven Städtlein St. Petersburg sollen durch ein
fahr- und drehbares Haus dargestellt werden. Eine Kulissenwand von etwa 4m x 4m
wird zum Innen- oder Außenraum eines Hauses, einer Schule, einer Kirche oder
eines Gefängnisses.
Viele
Umbauten können bei geschlossenem Hauptvorhang stattfinden, andere müssen offen
geschehen. Bevor die Bühne gebaut wird, schreibe ich einen genauen Ablaufplan,
der die Umbauten beinhaltet. So kann man überprüfen, ob man wirklich alles
berücksichtigt hat. Christine braucht diese Angaben auch bei der Probe. Da
nicht chronologisch geprobt und entwickelt werden kann, muss bereits vor den
Proben genau feststehen, wie die einzelnen Szenenbilder konkret aussehen.
Zudem
brauchen wir ganz genaue Pläne für den Bau des Bühnenbildes.
Zusätzlich
zum „Haus“ brauchen wir noch weitere Versatzstücke für die Bühne: den berühmten
Zaun, den es zu streichen gilt, ein Floß für Tom, Huck und Pit und so weiter. Ich
muss darauf achten, dass die Hinterbühne nicht durch Kulissen zugestellt wird,
damit die Projektionsfläche frei bleibt und nicht durch Schatten behindert
wird. Die Projektion auf die Opera Folie soll von hinten erfolgen. Würde man
von vorne projizieren, hätten die Darsteller das Bild auch auf dem Kostüm und
im Gesicht. Alles soll relativ klein und wendig sein. Schließlich brauchen wir hinter der
Bühne ja auch genügend Platz für die Auftritte von den Solisten und Gruppen.
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Wehe, ihr haltet euch nicht die an die Vorgaben! Foto: Andreas Schwark |
Viele Listen
müssen noch ausgearbeitet, Pläne zum Bau der Bühne überprüft und geändert
werden. Auf einer Autofahrt von Regensburg nach München wollen wir noch mal
über einige Details sprechen. Irgendwie kommen wir auf das Programmheft. Die
Ideen dazu purzeln hin und her, ein Gedanke ergibt den nächsten. Am liebsten
möchten wir uns sofort dransetzen, aber step by step ... Das
Programmheft kommt später dran.
Andreas Schwark, 11. Januar 2015
Hallo Andreas,
AntwortenLöschenklasse Entwürfe!! Ich liebe das zauberhafte Buch auch sehr. Ich erkenne es wieder, das Twain'sche Personal! Martin